Lässt sich Krebs heilen?

Es gibt eine verbürgte Geschichte, die in den 50er Jahren spielt. In dieser Zeit wurde an einem Mittel gegen Krebs geforscht, in das man sehr große Hoffnungen setzte, und auch die Presse berichtete ausführlich darüber. Ein Patient, der unter einem fortgeschrittenen Lymphdrüsenkrebs litt, bat seinen behandelnden Arzt, ihm dieses Medikament zu verabreichen, was dieser auch tat. Danach ging es diesem Patienten von Tag zu Tag besser. Nach relativ kurzer Zeit verschwand der Tumor und er konnte als geheilt aus dem Krankenhaus entlassen werden. Als dann jedoch durch die Presse ging, dass dieses Medikament bei weiten nicht die Erwartungen erfülle, das man in es gesetzt hatte, ja dass es wirkungslos sei, erlitt der Patient einen schweren Rückfall. Sein Krebs kam wieder zum Vorschein, und er verstarb in kurzer Zeit daran.

Der Placeboeffekt beruht nicht auf Einbildung

Das ist ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie stark unsere Selbstheilungskräfte auf die Zustände unserer Psyche mit ihren Erwartungen, Überzeugungen, Hoffnungen, Ängsten, Emotionen und Gefühlen reagieren können. Was hier im Spiel ist, hat man nachfolgend den 'Placeboeffekt' genannt. Der Grundeffekt eines Placebos ist relativ einfach erklärt. Wenn ein Mensch vollkommen davon überzeugt ist, dass ein bestimmtes Mittel ihm helfen wird - wenn er also eine positive Grundeinstellung und ernsthafte Hoffnung auf eine Genese hat - dann 'wirkt' es auch, selbst dann, wenn es sich dabei um ein Mittel handelt, dass nachweislich keinerlei Wirkung auf die Erkrankung hat. Wir wissen natürlich mittlerweile, dass es sich hier nicht etwa um einen Trick handelt, sondern dass unsere Selbstheilungskräfte am Werk waren. Erstaunlich ist dieser Effekt nur für diejenigen, die sich der hier wirkenden Zusammenhänge nicht bewusst sind.

Die modernen Placeboforscher verstehen immer besser, warum die wundersamen Erwartungseffekte nicht etwa Einbildung sind, sondern eine vom Körper selbst ausgelöste Heilungsreaktion. Mittlerweile hat daher der Begriff 'Placebo' ein positives Image unter den Forschern, die sich damit befassen. Der Ausdruck 'Placeboeffekt' ist nur ein anderes Wort für die psychologische Wirkung einer Therapie. Und um diese im Patienten wachzurufen, muss man gar nicht unbedingt täuschen. Wir wissen heute sehr gut, dass der Arzt durch Einfühlungsvermögen und Offenheit die Wirkung eines bestimmten Medikaments oder einer Therapie um den geistigen Effekt erhöhen kann.

Wie das funktioniert, haben Forscher vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf am Beispiel eines Schmerzmittels gezeigt. Sie fügten 22 Probanden einen unangenehmen Hitzereiz zu und verabreichten ihnen ein starkes Schmerzmittel, und zwar unter drei verschiedenen Bedingungen. Eine Gruppe von Patienten erhielt das Mittel, ohne dass sie es wusste. Bei dieser versteckten Gabe sank die Schmerzintensität zwar, jedoch nur sehr geringfügig.  Eine zweite Gruppe von Probanden wusste, dass sie ein Schmerzmittel bekommen wird. Bei dieser offenen Gabe war die Arznei doppelt so wirksam - bei genau gleicher Dosierung. Zum pharmakologischen Effekt kam der psychologische hinzu.

Umgekehrt konnten die Forscher die Wirkung des Schmerzmittels zunichte machen. Das geschah im dritten Versuch. Die Probanden bekamen von den Ärzten zu hören, sie würden nun kein Mittel mehr erhalten und müssten sich daher leider auf eine Verstärkung des Schmerzes gefasst machen. Tatsächlich aber bekamen sie das Schmerzmittel heimlich verabreicht. Das Ergebnis: Die Pein der Testpersonen wurde so stark, als hätten sie gar kein Schmerzmittel bekommen. Die negative Erwartung hatte den Effekt des Medikaments, das ja tatsächlich verabreicht wurde, vollständig zerstört.

Es gibt auch einen Nocebo Effekt

Im letzteren Fall war ein sogenannter Nocebo-Effekt (lateinisch für: "ich werde schaden") am Werk. Er wird wirksam, wenn der Arzt dem Patienten durch unbedachte Sprüche die Hoffnung raubt. Es ist bekannt und durch vielen Studien belegt, dass negative Erwartungen und Vorstellungen einen großen Einfluss auf unsere Gesundheit haben. So können unbedacht ausgesprochene Worte aus dem Mund eines Arztes eine vernichtende Wirkung haben, so wie es diese Studien auch gezeigt haben. Neuere Erkenntnisse aus der Angst- und Stressforschung belegen immer stärker, dass Verunsicherung, Angst und Hilflosigkeit die Selbstheilungskräfte unterdrücken. So kann beispielsweise die Lektüre des Beipackzettels zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden - weil der Patient gerade die Nebenwirkungen entwickelt, von denen er gelesen hat.

Die neuen und aufregenden Untersuchungen zum Placebo-Effekt zeigen also, dass die menschliche Psyche der wesentliche Motor der Heilung ist. Der Glaube an die Heilung und die Zuversicht des Patienten haben oft einen wesentlich größeren Einfluss als das verabreichte Medikament. Ohne die Mitwirkung des Geistes bleiben viele Therapien wirkungslos oder kehren sich sogar in das Gegenteil um. Auch wenn die moderne Medizin mit ihren Medikamenten und Therapien die Heilung unterstützen kann, so ist es doch immer der Patient selbst, seine Einstellung, seine Zuversicht, seine Ängste und Befürchtungen, die letztlich ausschlaggebend für den Heilerfolg sind.

Die menschliche Psyche als Motor der Heilung

Allein dadurch, dass ein Arzt Zuversicht weckt, ruft er im Gehirn des Patienten physiologische Antworten hervor, die wie ein Medikament wirken. Der Körper erzeugt biochemische Veränderungen, die über das Blut oder die Nervenbahnen die Organe erreichen. Die Hoffnung und der Glaube an eine Behandlung beeinflusst den menschlichen Organismus messbar. Die Zuwendung des Arztes ist daher eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür, gesund zu werden. Den Patienten mit seinen Wünschen und Bedürfnissen tiefreichend zu verstehen, und jene Art von Nähe herzustellen, die der Kranke so schmerzlich vermisst, trägt wesentlich zum Heilungsprozess bei.

Zuwendung schenken, positive Erwartungen nähren und das Selbstbild des Kranken zu stärken, haben einen entscheidenden Einfluss auf die Genese. Leider kann sich das in den heutigen Arztpraxen und Krankenhäusern kaum noch jemand leisten. Dazu fehlt meistens schlicht die Zeit, und in der Ausbildung von Ärzten und Medizinern kommen diese Dinge in der Regel zu kurz.

Kann sich die moderne Medizin "von innen" verändern?

Die Befunde und Ergebnisse weisen in die richtige Richtung. Sicherlich wird es wegen der überwältigenden Anzahl klarer Belege für diese Zusammenhänge irgendwann Veränderungen auch im medizinischen System geben. Man sollte sich allerdings keinen Illusionen hingeben. Das ganze System aus Krankenhäusern, Dienstplänen, Kassenzuschüssen, Forschungsgeldern und eingespielten Praktiken, Verhaltensweisen und Denkmustern ist sehr schwerfällig und wird sich auf keinen Fall schnell und wenn überhaupt, dann nur gegen Widerstand verändern.

Selbst wenn dies Schritt für Schritt geschieht, muss man sich immer noch im Klaren darüber sein, dass es in vielen, vielen Fällen mit einer schlichten Zuwendung durch den behandelnden Arzt und der aktiven psychischen Begleitung durch das gesamte medizinische Personal noch nicht getan ist. Blockaden sitzen oft sehr tief und lassen sich nicht auf eine so einfache Weise beseitigen. Dies liegt daran, dass Ihre innere Haltung, die verantwortlich ist für die Blockierung Ihrer Selbstheilungskräfte, sich nur sehr schwer direkt verändern lässt. Sie ist an Gefühle, Emotionen, tief sitzende Überzeugungen und körperliche Reaktionen gekoppelt, die sich über viele Jahre eingespielt haben.

Bei einigen Menschen sitzen die Blockaden, die die Selbstheilungskräfte stören und behindern, sehr tief und reichen hinab bis in längst vergessene Kindheitserlebnisse, oder vielleicht sogar tief hinein in den Familienstammbaum, wo sich Konflikte angestaut haben, die nie gelöst wurden. Rein kognitive Interventionen wie Aufklärung oder Belehrung haben in in solchen Fällen keinen Effekt und zeigen keine nachhaltige Wirkung. Ich habe es daher in meiner Praxis zumeist mit Menschen zu tun, die sehr viel mehr brauchen als mal ein gutes Wort oder eine Geste, die die Hoffnung auf Genese weckt.

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