Die Aufgabe unseres Gehirns

Welche Aufgabe hat das Gehirn? Viele - vielleicht auch Sie - würden behaupten, dass das Gehirn der Sitz des Denkens und Fühlens ist und dazu dient, unsere Handlungen zu planen und uns in der Welt zurecht zu finden. Diese Antwort ist nur sehr bedingt richtig und auch nur dann, wenn man sich allein auf die äußeren Hirnareale bezieht. Wenn man die tieferliegenden Bereiche des Hirns betrachtet, dann kommt man zu einer anderen Erkenntnis. In den tieferliegenden Bereichen des Hirns liegen die Zentren, die alle großen Regelsysteme im Körper steuern: das Hormonsystem, das Immunsystem, das Herz-Kreislauf-System und das vegetative Nervensystem. Und diese Bereiche sind nicht dazu da, unsere Denkprozesse zu steuern, sondern schlicht und einfach dazu, uns am Leben zu erhalten.

Die zentralnervösen Regelsysteme als Motor unserer Selbstheilungskräfte

Unsere zentralnervösen Regelsysteme sind unablässig damit beschäftigt, innere und äußere Verletzungen und Störungen einzudämmen und zu beheben, Fehler zu reparieren und alte und kranke Zellen zu ersetzen. Enzyme beseitigen tagein und tagaus Defekte in der Erbsubstanz. In der Haut werden täglich etwa eine Milliarde Zellen durch neue Zellen ersetzt. Die innere Schicht des Dünndarms wird alle drei Tage ausgetauscht. Diese Prozesse greifen auch bei äußeren und inneren Störungen ein. Bei größeren Problemen werden die Stoffwechselprozesse angekurbelt und die Körpertemperatur hoch geheizt, was sich äußerlich als Fieber zeigt. Wenn Krankheitserreger in eine Wunde eindringen, konzentrieren sich dort die weißen Blutkörperchen und die Fresszellen und drängen die Eindringlinge zurück. Ein großer Teil unserer Gehirnaktivitäten und unserer Kreislauf- und Stoffwechselaktivitäten gilt daher allein dem Ziel, uns gesund und am Leben zu erhalten. Wenn diese Regelsysteme ausfallen würden, wären Sie binnen sehr kurzer Zeit nicht mehr am Leben.

Man kann also sagen, dass die menschlichen Selbstheilungskräfte direkt mit dem Funktionieren dieser tief liegenden Regelsysteme verbunden sind. Hier von "Kräften" zu sprechen, ist natürlich nur eine Metapher, die allerdings sehr nützlich ist, um zu verstehen, wie sich der Körper selbst heilt, ohne sich zu sehr in den Einzelheiten zu verlieren oder eine unverständliche, ungewohnte Fachsprache benutzen zu müssen.

Die entscheidende Frage in dieser Thematik lautet nun, warum manche Menschen geradezu wundersame Selbstheilungskräfte zu besitzen scheinen, während andere von einer Krankheit in die nächste stürzen und irgendwann so viele verschiedene Leiden haben, dass man kaum weiß, an welcher Stelle man ansetzen soll. Wieso kommen einige Menschen ohne eine einzige Erkältung durch jeden Winter? Wie schaffen es manche Krebspatienten, gegen alle Wahrscheinlichkeiten weiterzuleben? Weshalb werden einige sogar wieder ganz gesund? Was, anders gefragt, beeinflusst unsere Selbstheilungskräfte?

Es ist die Psyche, die die Selbstheilungskräfte reguliert

Die Antwort darauf ist an und für sich einfach, wenn sie auch für viele Menschen vielleicht ein wenig überraschend ausfällt. Die Regelmechanismen unseres Körpers, unsere Selbstheilungskräfte, sind äußerst anfällig für Störungen und Einflüsse psychischer und emotionaler Art. Ein sehr starkes Signal ist hier beispielsweise die Angst. Angst ist das stärkste Gefühl, dass die Regelsysteme im Gehirn durcheinander bringt. Angst vor der Krankheit, Angst vor dem Sterben und dem Tod, Angst vor Verlusten und vor seelischen Schmerzen. Wie stark diese Angst ist, und ob sie sich negativ auf ihre Selbstheilungskräfte auswirken kann, ist wiederum abhängig von Ihrer Lebensgeschichte und den daraus entwickelten Haltungen und Einstellungen.

Mittlerweile sind sich alle Forscher, die sich speziell mit diesem Thema beschäftigen, einig, dass es vordergründig unsere Gedanken und Gefühle sind, die unsere tief sitzenden Regelsysteme direkt oder indirekt beeinflussen. Unsere Psyche hat daher einen sehr viel größeren Anteil an unserer Gesundheit als Wissenschaftler es lange für möglich hielten. Natürlich wissen wir längst, dass zu viel Stress krank macht und Entspannung das Immunsystem stärkt. Inzwischen aber ist die Medizin einen großen Schritt weitergekommen. Eine neue Wissenschaft, die Psychoneuroimmunologie, will klären, was genau passiert, wenn der Geist den Körper heilt. Sie erforscht, wie Psyche, Nervensystem und die körpereigene Krankheitsabwehr miteinander verknüpft sind. Und sie liefert Belege, dass Gedanken tatsächlich über unsere zentralnervösen Regelsysteme messbar auf Organe, Drüsen und Zellen wirken. Viele unabhängige Forschungsergebnisse haben inzwischen klar gezeigt, dass unsere Psyche, also das, was wir denken und fühlen, eine direkte Auswirkung auf die Organe und das Immunsystem hat.

Es ist daher wichtig, den folgenden Zusammenhang zu verstehen:

  1. Es hängt in den meisten Fällen von der Güte unserer Selbstheilungskräfte, also dem optimalen Wirken der inneren, zentralnervösen Regelmechanismen ab, ob es zu einer Heilung kommt und wie schnell und gut der Körper wieder zu einem stabilen und gesunden Gleichgewicht zurück findet.
  2. Diese Selbstheilungskräfte wiederum sind sehr stark beeinflussbar von psychischen, emotionalen und sozialen Faktoren - also von unseren Emotionen, Gefühlen und Gedanken.

Aus diesem Zusammenhang folgt, dass eine Krankheit oder Störung meistens dann entsteht, wenn negative Einflüsse von innen und außen auf einen Menschen treffen, der zugleich unter bewussten oder unbewussten seelischen Beschwerden wie Stress, ungelösten Konflikten, häufigen negativen Emotionen, negativen Selbsteinstellungen oder einer stark pessimistischen und damit Angst erzeugenden Grundeinstellung leidet. Und daraus folgt auch, dass Heilung nicht allein darin bestehen kann, die lokalen, körperlichen Ursachen einer Störung von außen zurück zu drängen und kurzfristig zu beseitigen.

Ich hatte schon gesagt, dass das Wort "Selbstheilungskräfte" all die komplizierten zentralnervösen Prozesse beinhaltet, die dazu dienen, uns bei Gesundheit und am Leben zu erhalten. Ich möchte nun ein weiteres Wort einführen, nämlich das Wort "Blockade", um nicht immer wieder die vielfältigen psychosozialen und emotionalen Faktoren nennen zu müssen, die sich negativ auf eben diese Prozesse auswirken. Wenn wir uns als Heiler also manchmal so ausdrücken, dass bei chronischen Erkrankungen und bei vielen anderen Fällen, in denen die Heilung trotz Medikamenten, intensiver Behandlungen und Therapien nicht vorankommt, oft eine Blockade der Selbstheilungskräfte vorliegt, dann hat das einen ganz konkreten und wissenschaftlich ernst zu nehmenden Sinn. Es bedeutet, dass die zentralnervösen Prozesse, die uns letztlich am Leben erhalten, durch psychosoziale und emotionale Faktoren gestört sind und sich nicht so entfalten können, wie sie es in einer normalen Situation vielleicht tun würden.

Jetzt bleibt noch die Frage zu klären, was man tun kann, um seine Selbstheilungskräfte zu unterstützen und eventuelle Blockaden zu lösen. Ich möchte zunächst erst einmal auf die drei großen positiven Verstärker unsere Selbstheilungskräfte - Zuwendung, Hoffnung und Zuversicht -  und einige Studien eingehen, die zeigen, wie viel soziale Zuwendung und eine positive Einstellung bewirken können.

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